Zwischen Gletscherschlucht und Reichenbachfall: Rosenlaui/BE
Bergahorne bei HobalmWeltmeisterlich bringt uns der Chauffeur des Postautos über die schmale Strasse und die engen Kehren von Meiringen aus durchs Reichenbachtal zum Hotel Rosenlaui. Der Hotelbau im Stil der Belle Epoque steht an wunderschöner Lage. Ein Stop lohnt sich allemal. Schon Goethe ist 1779 hier von der Grossen Scheidegg her kommend eingetroffen. Infos unter www.rosenlaui.ch. Nach einem feinen Kaffee statten wir der nahen Gletscherschlucht einen Besuch ab. Fünf Minuten oberhalb des Hotels gelegen bietet sie ein eindrückliches Naturerlebnis. Die Schmelzwasser des Rosenlauigletschers donnern und tosen durch den engen Schlund. Hier auf einer Stufe ausruhend, umgeben vom alles überwältigenden, durchdringenden und ausfüllenden Tosen kam mir die Geschichte vom Teryky von Juri Rytcheu, die ich vor Jahrzehnten mal gelesen hatte, in den Sinn. Nach einer Sage der ostsibirischen Tschuktschen kehrt ein Polarjäger, wochen- oder monatelang auf einer Eisscholle abgetrieben, als Teryky, als fellbewachsenes Ungeheuer zurück: Das intensive Erleben –wie hier in der Schlucht, in voriger Geschichte natürlich in extremer Form- verwandelt und lässt einem „anders“ zurückkommen. Auf gut ausgebautem Weg kann die Schlucht aufwärts begangen werden. Unsere Wanderung geht nachher zum Hotel zurück und dann flussabwärts bis Gschwantenmad. Hinter den Häusern des Weilers finden wir Bergahorne, die ein starkes prägendes Landschaftselement darstellen. Blicken wir zurück, sehen wir den Talabschluss, der den aussergewöhnlichen Charakter des Rosenlaui ausmacht: Wetterhorn, Mittelhorn, vorne das Wellhorn, hinten anschliessend Rosenlauigletscher und Rosenhorn. Wir wenden uns vom Talwanderweg weg in vier Kehren zur Alp Gross Rychenbach unter den steil aufragenden Engelhörnern hinauf. Die Alp Chli Rychenbächli ist mit 1648 m ü.M. gleich der Scheitelpunkt unserer Wanderung. Der Aufstieg lohnt allemal, schweift doch der Blick weit übers Tal zu Brienzer Rothorn, Brünig und Hasliberg. Dann geht’s steil hinunter nach Hobalm. Erste Bergahorne zeigen an, dass wir hier richtig sind. Bei den ersten Häusern vorbei folgen wir dem Wanderweg bis Pt. 1354, wo wir rechts abzweigen ins Gebiet Halten. Hoch über Meiringen gelegen betreten wir hier eine Geländeterrasse, die mit markanten Bergahornen besetzt ist. Der Weg führt durch eine blumenreiche Wiese zu zwei Alpgebäuden, um die sich die mehrhundertjährigen Baumpersönlichkeiten gruppieren. Bergahorne lieben die kalte, feuchte Luft in dieser Höhe. Über einem dicken Stamm bilden sie eine dichte und tiefe, eiförmig bis runde Krone. Oft wurden sie als beschützender Hausbaum in der Nähe der Gehöfte angepflanzt. 600 Jahre alt können die Riesen werden. Auf dem Wanderweg zurück geht’s Richtung Kaltenbrunnen. Immer noch im Bergahorn-Gebiet kommen wir zum schönsten Bergahorn. Auf der Bank unter dem Riesen mit 5.60 m Brusthöhenumfang neben dem (Ferien)haus ist Pausenzeit und wir geniessen Ruhe und Aussicht. Aus ungewohnter Perspektive sehen wir den Eiger: Ein schmaler Felsgrat. Ein schönes Beispiel, dass etwas, das man zu kennen vermeint, von einer andern Lage aus betrachtet ganz anders aussieht. Beim Naturfreundehaus Rüötsperri verlassen wir das Bergahorn-Gebiet und kommen beim Restaurant Kaltenbrunnen zur Talstrasse. Ein erstes Stück geht’s auf der Fahrstrasse weiter- ein Wanderweg hätte hier in der engen Schlucht gar keinen Platz. Bei der nächsten Kehre wird der Wanderweg dann „selbständig“ bis hinunter ins Zwirgi, wo ein weiteres Restaurant einlädt. Die Wanderung talabwärts wird vom Tosen des Rychenbachs erfüllt. Jetzt wenden wir uns zum gut markierten und touristisch optimal erschlossenen Rychenbachfall. Über eine Felswand fallen die Wasser 120 m in die Tiefe. Auf den Treppen im unteren Teil ist der starken Gischt wegen eine Dusche inbegriffen, bis wir uns ins Stationsgebäude der Rychenbachfall-Bahn „retten“ können. Die Drahtseilbahn bringt uns hinunter in die Ebene, von wo der Bahnhof Meiringen in einer guten Viertelstunde zu erreichen ist. In den Reichenbachfällen soll die vom Briten Arthur Conan Doyle geschaffene Romanfigur Sherlock Holmes zusammen mit seinem Widersacher Professor Moriarty hinuntergestürzt sein. Ein weisser Stern markiert die Kampfstelle, eine Gedenktafel macht uns auf dieses Geschehnis aufmerksam. Wer sich vertieft damit beschäftigen möchte, besuche das Denkmal und das Holmes-Museum im Zentrum Meiringens.
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